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Ende einer Ära: ALTERNATE aTTaX zieht sich aus CS zurück

fragster Leni Mai 28, 2025

Die deutsche Esport-Szene steht unter Schock. Nach über 20 Jahren Counter-Strike-Geschichte hat die Traditionsorganisation ALTERNATE aTTaX bekanntgegeben, ihre CS2-Division zum Ende des Jahres 2024 aufzulösen. Diese Entscheidung markiert nicht nur das Ende eines Teams – sie bedeutet den vorläufigen Abschied einer Institution, die wie kaum eine andere Organisation das deutsche Counter-Strike geprägt hat.

Der Rückzug kommt in einer Phase, in der die Szene insgesamt vor massiven Umbrüchen steht: Strukturelle Veränderungen im Spiel, ein zunehmend globalisierter Wettbewerb und wirtschaftliche Unsicherheiten setzen vielen mittelständischen Organisationen zu. Doch dass es nun ausgerechnet aTTaX trifft, trifft viele in der Community hart.

Zwei Jahrzehnte Counter-Strike-Geschichte

ALTERNATE aTTaX wurde 2003 ins Leben gerufen – zu einer Zeit, als E-Sport in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckte. Über die Jahre hinweg entwickelte sich die Organisation zum Aushängeschild für professionelles deutsches Counter-Strike. Ob in CS 1.6, CS:Source, CS:GO oder zuletzt CS2 – aTTaX war stets präsent, beständig und förderte Talente, die später internationale Erfolge feierten.

Namen wie Fatih „gob b“ Dayik, Johannes „tabseN“ Wodarz, Tizian „tiziaN“ Feldbusch oder Florian „syrsoN“ Rische fanden bei aTTaX ihre ersten großen Plattformen, bevor sie den Sprung zu internationalen Topteams wie BIG, mousesports oder Sprout wagten.

„Ohne aTTaX wäre meine Karriere wahrscheinlich nie in dieser Form möglich gewesen“, sagte gob b einst rückblickend in einem Interview. „Sie waren das erste Team, das mir Vertrauen geschenkt und mir eine echte Bühne geboten hat.“

Die Gründe hinter dem Rückzug

In einem ausführlichen Statement erklärte die Organisation, dass man sich schweren Herzens dazu entschieden habe, sich aus dem professionellen Counter-Strike zurückzuziehen. Der Schritt sei keine Kurzschlussreaktion, sondern das Ergebnis „langer, sorgfältiger Überlegungen und nüchterner Analysen“, wie es in der offiziellen Mitteilung heißt.

Lennart Kreuter, Projektleiter und Head of Esports bei ALTERNATE aTTaX, wurde in einem begleitenden Interview sehr deutlich:

„Die aktuelle Marktlage erlaubt es uns schlichtweg nicht mehr, mit der globalen Entwicklung Schritt zu halten. Sponsoren ziehen sich zurück, Turnierformate werden internationaler, und als mittelgroße Organisation hat man kaum noch Planungssicherheit. Es wäre unverantwortlich gewesen, einfach weiterzumachen, nur weil wir an der Vergangenheit hängen.“

Ein weiterer Aspekt: Die Einführung von Counter-Strike 2 hat für viele kleinere Organisationen das Risiko erhöht. Neue Mechaniken, eine sich noch stabilisierende Meta und unklare Turnierstrukturen machten langfristige Planung nahezu unmöglich.

Das letzte Line-up – und ein würdiger Abschied

Der Rückzug bedeutet auch das Ende des aktuellen Kaders, der sich 2023/2024 zunehmend stabilisierte und vor allem in der 99Damage Liga, bei ESL Meisterschaften und CCT-Events für Aufmerksamkeit sorgte.

Zuletzt spielten:

  • Michalis „awzek“ Napoloni
  • Marcel „hyped“ Köhn
  • Paul „PerX“ von Erdmannsdorff
  • Lukas „FreeZe“ Hegmann
  • Luc „ArroW“ Oehmke

„Ich habe mich bei aTTaX wie in einer Familie gefühlt“, so awzek in einem Social-Media-Statement. „Wir wussten, dass es wirtschaftlich nicht einfach ist, aber das Team, das Management – alle haben uns Spielern das Maximum ermöglicht. Ich bin traurig, aber auch stolz, Teil dieser Geschichte gewesen zu sein.“

Der talentierte AWPer hyped, der bereits in der Vergangenheit bei BIG unter Vertrag stand, schrieb:

„Wir haben bis zur letzten Sekunde alles gegeben. Es schmerzt zu gehen, aber ich nehme viele gute Erinnerungen mit. Danke für alles, aTTaX.“

Nachwuchs statt Profit

Trotz des Abschieds aus dem Spitzensport bleibt ALTERNATE nicht gänzlich aus Counter-Strike verschwunden. Stattdessen will sich die Organisation künftig noch stärker dem Evo-Projekt widmen – einem Förderprogramm, das junge, talentierte Spieler auf eine professionelle Karriere vorbereiten soll.

„Wir glauben an das Potenzial in Deutschland“, betont Kreuter. „Und wir wollen auch in Zukunft eine Rolle darin spielen, junge Spieler auf ihrem Weg nach oben zu begleiten – auch wenn wir sie vielleicht nicht mehr selbst unter Vertrag nehmen.“

Die deutsche Szene verliert ein Fundament

Der Rückzug von ALTERNATE aTTaX hat Signalwirkung. Die Organisation war über Jahre hinweg eine Konstante – nicht nur als sportlicher Mitbewerber, sondern auch als Talentförderer, Ausbildungsstätte und Identifikationsfigur für deutsche Fans. Viele Turnierformate wie die ESL Meisterschaft oder die ehemalige 99Liga wären ohne aTTaX nicht das gewesen, was sie sind.

„ALTERNATE war immer da, wenn es deutsche E-Sport-Geschichte zu schreiben gab“, kommentierte ein langjähriger Szene-Insider auf Reddit. „Ihr Weggang hinterlässt eine Lücke, die schwer zu füllen sein wird.“

Man kann diesen Rückzug nüchtern betrachten – als betriebswirtschaftlich vernünftige Entscheidung in einem zunehmend schwierigen Umfeld. Oder man kann ihn emotional sehen – als Ende eines Kapitels, das vielen Spielern, Fans und Wegbegleitern so viel bedeutet hat. Beides ist richtig.

ALTERNATE aTTaX war nie das glamouröseste Team, nie das mit dem größten Budget oder den lautesten Trophäen. Aber sie waren da – konstant, verlässlich, loyal zur Szene. Und genau dafür werden sie in Erinnerung bleiben.